Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen Partnerschaft der Ingenieure und beratenden Betriebswirte
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Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen

Projektkompass SAP

Leseprobe

3. Ein Kurs für die lange Reise

Die Kursbestimmung eines SAP-Projektes kann sich nicht darin er- schöpfen, geschickt, sensibel und kenntnisreich Klippen oder Untiefen auszumachen und zu umschiffen. Um einen Kurs anzulegen und zu berechnen, bedarf es eines Reisezieles, zumindest eines Zielgebietes auf das man zusteuern will.

Dem Erfolgsfaktor 1 'Leitbildorientierung des gesamten Änderungsprozesses' folgend steht deshalb in diesem Abschnitt die Frage 'Wohin mit SAP? ' im Vordergrund.

Dazu wird zunächst geschildert, wie diese Kernaufgabe eines SAP- Projektes aus Unternehmens- und Betriebsratssicht üblicherweise bewältigt wird und welche Probleme dabei entstehen können. Daran anknüpfend wird ein Zielsystem vorgestellt, das geeignet ist, die betriebliche Diskussion ganzheitlich zu strukturieren und damit einen Zielkorridor eröffnet, der sowohl Leitbilder einer erfolgreichen Unternehmensentwicklung mit Anwenderinteressen und sozialen Pflichten zu integrieren im Stande ist.

Dieses Zielsystem wird darüber hinaus in den folgenden Teilen dieses Buches als Referenzmodell herangezogen und strukturiert somit auch unsere Empfehlungen zur Ablauf- und Aufbauorganisation von SAP- Projekten (Teil B) sowie die Querschnittsthemen im Spannungsfeld Mensch-Technik (Teil C).

3.1 Wo soll es hingehen?

'Schneller, besser, billiger und zukunftssicher', so könnte man in vielen Fällen die zentralen Entscheidungskriterien für die Einführung von SAP bzw. integrierter Standardsoftware zusammenfassen.

Aber auch Zielbegriffe wie Geschäftsprozessoptimierung, Controlling und flexible Plankostenrechnung, Reduzierung der Transaktionskosten, Integration, Einmaldatenerfassung, Ablösung von Altsystemen, einheitliche Softwareplattform, etc. bieten für sich noch keine ganzheitliche Grundorientierung, sondern bewegen sich, wie die üblichen operativen Ziele (Erhöhung der Termintreue, Verkürzung der Durchlaufzeiten, Verringerung der Kapitalbindungskosten etc.), auf dem Niveau von Einzelmaßnahmen. So erscheint häufig eine SAP-Einführung unternehmensbezogen als bloße Summe von mehr oder minder isolierten Strategien, Zielen und Sachzwängen. Diese Praxis, Einführungsziele von SAP mit den neu einzurichtenden Methoden und Steuerungswerkzeugen zu beschreiben - bzw. zu verwechseln, wird durch das Werkzeug SAP selbst nahegelegt. Das führt in manchen Unternehmen dazu, dass die SAP-Einführung schließlich selbst zum Generalziel erhoben wird.

Der SAP-Nutzenwald 

Wofür nun eigentlich so plötzlich eine flexible und ausgefuchste Plankosten-, gar Prozesskostenrechnung mit Hilfe von SAP eingerichtet werden soll, oder wie und warum über dieses Werkzeug das Kostendenken in die Köpfe und das Verhalten der Mitarbeiter Einzug nehmen soll, bleibt vielfach unklar. Ebenso bleiben damit verbundene Fragen nach neuen Führungskonzepten, kontinuierlichen Verbesserungsprozessen (KVP) oder einer Neubestimmung des Verhältnisses von Overhead und Wertschöpfungsprozess im Sinne einer Dienstleistungsbeziehung, zumeist ebenfalls im Olymp der Geschäftsführung und ihrer Experten verborgen.

Ziele softwareunabhängig formulieren

Da nun aber bekanntlich viele Wege nach Rom führen und der Weg SAP bzw. über EDV keineswegs immer der direkteste, ungefährlichste und kostengünstigste ist, wird es erforderlich, die zukünftigen Ziele des Unternehmens maßnahmenunabhängig zu formulieren.

Ein weiterer Grund dafür liegt in dem Umstand, dass integrierte EDV- Systeme i. d. R. für die Entfaltung ihrer Zielwirksamkeit einen Strauß frankierender Maßnahmen bedürfen, die wie z. B. eine fachliche Qualifizierung oder eine Änderung des Führungsstils und Planungsverhaltens des Managements, kaum in den Einführungsprojekten berücksichtigt werden. Schließlich führt die Frage nach Prioritäten und Alternativen zu Einzelmaßnahmen oder nach ihren gegenseitigem Synergieeffekten zu der Notwendigkeit, die Ziele einer SAP-Einführung nicht nur SAP-unabhängig, sondern unternehmensbezogen integriert bzw. ganzheitlich zu formulieren. Im Beispielfall 1 hatte zumindest die Projektleitung ein solches strategisches Leitbild: Mit Hilfe von SAP sollte der Umbau der gesamten Auftragsabwicklung von der eher 'handwerklichen Produktionsweise' in eine 'industrielle" eingeleitet und dieser Prozess mit SAP steuerbarer werden. Das SAP-Projekt im Fall 4 dagegen musste erst, weil es auf die Interessen und Bedarfe von Dienstleistungs- bzw. Verwaltungsbereichen ausgerichtet war, dem Leitbild einer 'humanen und robusten" Fertigung und Montage untergeordnet und Schritt für Schritt diesen Zielen angepasst werden.

Ziele müssen hinterfragt werden.

Aus Sicht vieler Betriebsräte erscheint häufig die Zielstruktur von SAP- Projekten noch diffuser. Die Unternehmen begründen ihnen gegenüber eine SAP-Investition häufig entweder mit technischen Sachzwängen ("Das alte Buchhaltungssystem ist nicht mehr revisionsfähig, und die Schnittstellenkosten fressen uns auf".) oder aber mit den üblichen Schlagwörtern aus dem Arsenal moderner Unternehmensführung, aus deren Nebel man erst die Rationalisierungsziele und Gefährdungspotentiale für die Mitarbeiter herausdestillieren muss. Damit ist natürlich eine Defensivstellung und schutzorientierte Grundposition der betrieblichen Interessenvertretung schon vorprogrammiert, zumindest verständlich.

Dabei verdichtet sich manchmal vorschnell - im Rückblick auf alte Rationalisierungserfahrungen - die klassische Schutzperspektive mit dem drohenden und unbekannten 'Moloch' SAP zu der Schreckensvision eines Generalangriffs auf die Besitzstände der Belegschaft:

Eine strategische Entscheidung die einige Millionen Investitionskosten nach sich zieht und die für die nächsten 10 - 20 Jahre die informationstechnische Infrastruktur des Betriebes zu 80% festlegt, das Unternehmen sich darüber hinaus an eine Softwarefirma (Standardsoftware) und ggf. ein externes Rechenzentrum langfristig bindet, dürfte kaum nur mit technischen Sachzwängen, relativ kurzatmigen operativen Zielen und dem Wunsch nach einem neuen Werkzeugkasten für das Top-Management begründet sein.

.... Das stimmt misstrauisch!

Doch häufiger, als man zu denken wagt, steht hinter einer Vorstandsentscheidung, flächendeckend integrierte Standardsoftware einzuführen, in der Tat nicht viel mehr. Genauso wenig sind die vielen "wohlmeinenden' Konzernempfehlungen, sich nun endlich dem Konzernstandard anzupassen, die Datenverarbeitungs-GmbH auszulassen und die Konzernberichterstattung besser zu bedienen, dazu angetan, die betrieblichen Probleme und Entwicklungsziele spezifisch zu fördern.

.... Das macht hellhörig!

So infiltriert sich SAP, häufig sehr stark von außen bestimmt und durch betriebliche Teilinteressen protegiert, in die Betriebe, ohne dass eine ganzheitliche Orientierung oder Vision von mittel- und langfristiger Unternehmensentwicklung den Prozess qualitativ zu steuern in der Lage ist. dass dabei die Interessen und Belange der Anwender und Betroffenen - wie in Fallbeispiel 2 geschehen - erst ganz am Ende des Projektes die SAP-Realität beeinflussen, ist damit vielfach vorbestimmt.

Ein solcher Ablauf ja ganz so problematisch, wenn man alles schnell ändern könnte, oder das Organisationspotential von SAP bzw. einer anderen integrierten Standardsoftware, wie von Baan, AT&T, KHK etc., mit den Organisationsbedingungen, Potentialen und Zielen der Anwenderbetriebe nicht nur heute, sondern auch morgen unbefragt übereinstimmen würde. Wenn man also nach erfolgter Einführung früher oder später einfach, ohne großen Aufwand, die Software aus- wechseln oder grundlegend umkonfigurieren könnte.

Lernen kann man nur, wenn man weiß, was man will.

dass dies kein akademisches Problem ist belegt die Geschichte und die Entwicklungsdynamik der SAP-Software selbst. Aus der zentralistischen Großrechner- und Großbetriebswelt zum Zweck der Abbildung und Unterstützung betriebswirtschaftlicher Kernfunktionen wie Finanzbuchhaltung und Kostenrechnung geboren, hat SAP schrittweise sein Funktionalitätsangebot ausgeweitet und mit den Erfahrungen seiner Anwender ausdifferenziert. Heute erst - vor allem mit der Produktlinie R/3 - werden verstärkt Branchenlösungen entwickelt und Besonderheiten von Mittelbetrieben berücksichtigt. Ebenso finden erst seit kurzem Organisationsleitbilder und Verfahren schlanker Produktionsplanung und -steuerung nebst ihrer logistischen Integration wie KANBAN , "Leitstandsfunktionen auf allen Planungsebenen" Unterstützung. Kurz: SAP entwickelt sich letztlich entlang des Durchschnitts seiner Kundenanforderungen und Lösungen bzw. ihren Best-Ways'. Entsprechend zeigen die betrieblichen Erfahrungen mit Modifikationen am Standard, Dauerbaustellen, Eigenentwicklungen, gravierenden Sicherheitslücken, De-Installationen und die vielen Unternehmen, die sich in Ermangelung eigener Orientierungen ungefragt an die Best Way- Angebote des jeweiligen Releasestandes organisatorisch angepasst haben, dass man allein mit der Summe von Teilzielen und Einzelproblemlösungen weder dem Leitbild integrierter Software noch dem eigenen Unternehmen und damit auch den Mitarbeitern gerecht wird. Also: Man muss wissen, wohin man will! Entsprechend seine Software aussuchen oder - wenn man sie schon im Hause hat bzw. sie nehmen muss -, die Funktionalitäten so auswählen, dass zumindest die Flexibilität und Weiterentwicklung der Organisation und der Mitarbeiter nicht behindert, sondern angeregt und auch langfristig durch die Technik unterstützt wird.

Einen Maßanzug von der Stange gibt es nur, wenn man die entsprechende Figur hat und und vor allem auch sein Gewicht und die Form halten kann.

Auch Betriebsräte brauchen klare Zielvorstellungen.

Betriebsräten dürfte diese Sicht auf das Organisationswerkzeug SAP eigentlich nicht fremd sein. Denn die Fragen der Humanisierung der Arbeit über persönlichkeitsförderliche Arbeitsorganisation, wie z.B. Gruppenarbeit, Mischarbeit, qualifizierte Assistenztätigkeit, ist weder neu, gleichwohl im Zusammenhang mit den neuen Mode-Leitbildern wie 'Lean-Production', 'Total-Quality-Management', 'lernendes Unternehmen", z.Z. durchaus wieder im Aufwind.

Auch für Betriebsräte steht also die Frage auf der Tagesordnung, wohin man mit den Kolleginnen und Kollegen steuert wird: Steht nun SAP oder das Unternehmen und der Mensch im Mittelpunkt?

Wir empfehlen, zumindest SAP nicht ins Zentrum zu stellen, sondern integrierte Standardsoftware konsequent als ein Werkzeug zu betrachten. D.h. seine Einsatzziele, seine Funktionen und seine Handhabung sollten sich an Unternehmens- und Organisationszielen sowie an Möglichkeiten und Interessen der Mitarbeiter orientieren. Dies gilt es betrieblich konkret zu planen und auszuhandeln. Dafür können, wie gesagt, Leitbilder sehr hilfreich sein.