Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen Partnerschaft der Ingenieure und beratenden Betriebswirte
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Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen

Beschäftigungssicherung, Interessenausgleich und Sozialplan

Leseprobe

V. Tätigkeiten des Betriebsrats vor Aufnahme der Verhandlungen

1. Die Informationsrechte des Betriebsrats

Die erste Aufgabe des Betriebsrats im Rahmen von sich abzeichnenden Betriebsänderungen besteht darin, die notwendigen Informationen zu sammeln, um die Mitbestimmungsrechte in angemessener Form wahrnehmen zu können. Nur wenn die Absichten des Arbeitgebers bekannt sind, kann der Betriebsrat überhaupt erkennen, ob ein Mitbestimmungsbedarf besteht. Erst wenn er die Planungen des Arbeitgebers kennt, kann er auch mit diesem ein Gespräch dar-über führen, welche Alternativen zu dessen Plänen denkbar sind.

Die Information durch den Arbeitgeber und die darauf aufbauenden Beratungen müssen also zu einem Zeitpunkt erfolgen, zu dem es noch möglich ist, Einfluss auf seine Pläne zu nehmen. Die Unterrichtungsansprüche des Betriebsrates sind nicht davon abhängig, ob tatsächlich ein Mitbestimmungsrecht - hier ein Anspruch auf Verhandlung und Beratung über Interessenausgleich und Sozialplan – besteht. Die Informationen sollen vielmehr den Betriebsrat in die Lage versetzen, dies selbst zu beurteilen (BAG v. 20.9.1990-1 ABR 74/89, AiB 1992, 579; v.8.6.1999-1 ABR 28/97, AiB 2000, 292; v. 19.2.2008 -1 ABR 81/06).

Der Arbeitgeber kann daher Informationen auch nicht mit dem Argument verweigern, die beabsichtigten betrieblichen Veränderungen erreichten nicht die Qualität einer Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG. Der Arbeitgeber darf die Informationen auch nicht wegen angeblich bestehender Geheimhaltungsinteressen verweigern. Diese Grenze gibt es nicht zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber.

Im Umfang der Unterrichtungspflicht existiert bislang wenig Rechtsprechung. Dazu
bestand auch kaum Anlass, da sich die gerichtlichen Auseinandersetzungen im Vorfeld der Betriebsänderung im Wesentlichen darum drehten, ob die Voraussetzungen für die Mitbestimmung des Betriebsrats gegeben waren. In der arbeitsrechtlichen Literatur wurde früher darauf hingewiesen, dass die in § 17 Abs. 2 KSchG vorgeschriebenen Informationen bezüglich einer Massenentlassung nicht ausreichend sein sollen (GK-Fabricius, § 111 Rn. 79, 6. Aufl.). Sofern ein Unternehmensberater eingeschaltet wurde, ist dessen Gutachten vorzulegen (DKW-Däubler, § 111 Rn. 163). Andere beschreiben die Anforderungen so, dass die bisherige und zu erwartende zukünftige Entwicklung auf Grund der geplanten Maßnahme und deren Auswirkungen auf die Belegschaft dargelegt werden müssen (FESTL, § 111 Rn. 111). Ähnlich global ist die Festlegung des Umfangs der Informationsrechte durch das LAG Hamm. Danach kann der Betriebsrat verlangen, dass ihm alle für die geplante Betriebsänderung maßgeblichen Daten mitgeteilt werden (LAG Hamm v. 5.3.1986 -12 Ta BV164/85, AiB 1994, 628).

Aus diesen insgesamt wenig konkreten Hinweisen kann der Betriebsrat für sich den Schluss ziehen, dass er selbst den Informationsbedarf festlegt. Er muss an Hand der konkre-ten Situation beurteilen, welche Angaben er benötigt, diese auflisten und dem Arbeitgeber als Forderung präsentieren. Dabei ist er nicht auf eine einmalige Anforderung angewiesen. Er kann, sofern sich neue Aspekte ergeben, sein Informationsverlangen jederzeit erweitern.
Arbeitsgerichte werden diese Anforderung der Betriebsräte, sofern sie nicht völlig aus der Luft gegriffen sind, für die Beurteilung zu Grunde legen müssen, ob der Arbeitgeber seiner Unterrichtungspflicht nachgekommen ist.

Der Unterrichtungsanspruch des Betriebsrats ist umfassend und steht nicht unter dem Vorbehalt, dass die durch die Betriebsänderung verursachten Nachteile bereits konkret fassbar sind. Nicht einmal wenn völlig auszuschließen ist, dass Nachteile entstehen, kann der Arbeitgeber dem Betriebsrat die begehrten Informationen vorenthalten, weil genau diese Frage durch das Gremium in eigener Zuständigkeit zu beantworten ist. Dafür wiederum bedarf es der Informationen zum Vorhaben des Arbeitgebers, um hierüber sachgerecht urteilen zu können. Dessen Unterrichtungspflicht entfällt nur dann vollständig, wenn er bestreitet,
überhaupt eine Betriebsänderung zu planen.

Die erforderlichen Informationen lassen sich grob in drei Kategorien unterteilen

  1. Geplante Betriebsänderung
  2. Personalwirtschaftliche Aspekte
  3. Wirtschaftliche und finanzielle Situation des Unternehmens

Mit folgenden Fragen bzw. Informationen kann der Betriebsrat die Basis seiner
Unterrichtungsanforderungen legen:

  1. Betriebsänderung
    1. Welche inhaltlichen Veränderungen sind im Rahmen der Betriebsänderung geplant, wann und in welcher Form soll diese umgesetzt werden?
    2. Welche Alternativen zu den angedachten Änderungen sind geprüft und
    3. verworfen worden?
    4. Welche Vorzüge hat die geplante Betriebsänderung gegenüber den
    5. Alternativen?
    6. Welche Auswirkungen wird die Betriebsänderung auf die Zahl der
    7. Beschäftigten, deren Vergütung und deren Qualifikation haben?
  2. Personalwirtschaftliche Aspekte
    1. Vorlage aktueller Stellenpläne, bezogen auf die einzelnen Kostenstellen,
    2. Abteilungen, Bereiche und ggf. Betriebe.
    3. Vorlage aktueller Personalbestandslisten für die genannten Bereiche.
    4. Vorlage von Mitarbeiter*innenübersichten, differenziert nach Funktion,
    5. Tätigkeit und Qualifikation.
    6. Überlassung von Stellenbeschreibungen und -profilen.
    7. Überlassung der Personalbedarfsrechnungen.
    8. Liste aller offenen Stellen im eigenen Unternehmen bzw.
    9. konzernangehörigen Unternehmen.
    10. Überstundenstatistik einschließlich der Begründung für die angefallenen Überstunden.
    11. Umfang und Art der Beschäftigung von Fremdfirmen.
    12. Übersicht über die Personalfluktuation.
  3. Wirtschaftliche/finanzielle Lage
    1. Offenlegung der gesellschaftsrechtlichen Verhältnisse einschließlich
    2. konzernrechtlicher Verbindungen und Ergebnisabführungsverträge.
    3. Handelsrechtliche Unterlagen, insbesondere Bilanz, Gewinn- und Verlustrechnung, Lage- und Risikobericht, sowie Wirtschaftsprüferbericht und ggf. Statusunterlagen.
    4. Interne Controllingunterlagen, wie kurzfristige Erfolgsrechnung, Deckungsbeitragsrechnungen, sowie aktuelle Unterlagen über Aufträge, Lagerbestände, Kredite usw.
    5. Interne Planungsdaten.
    6. Übersichten über die Lieferanten- und Kundenstruktur.
    7. Tatsächliche Austauschbeziehungen zwischen den Konzernunternehmen.
    8. Analyse des Marktgeschehens, Rankinglisten bezüglich der Konkurrenten.

Der Betriebsrat sollte überprüfen, welche der genannten Informationen für ihn in seiner Planung wichtig sind und deren Überlassung vom Arbeitgeber fordern. Darüber hinaus wird es im konkreten Fall immer noch weiteren, auf die spezielle Situation bezogenen Informationsbedarf geben. Dessen Befriedigung kann der Betriebsrat ebenfalls jederzet einfordern, wenn es für seine Tätigkeit erforderlich ist.

Das Informations- und Beratungsrecht in § 111 BetrVG ist von einer vorherigen Planung des Arbeitgebers abhängig. Dies betrifft allerdings nur die Information und Beratung, nicht den Anspruch auf einen Sozialplan und einen Interessenausgleich selbst. Der besteht auch dann, wenn die Betriebsänderung ungeplant ist, also etwa durch äußere Einwirkungen erzwungen wird, die nicht durch den Arbeitgeber zu beeinflussen sind (BAG v. 17.9.1974-1 AZR 16/74, AiB 993,634).

Selbst hereinbrechende Katastrophen wie etwa die Vernichtung eines Betriebes durch einen Brand, schließen die Mitwirkungsrechte des Betriebsrats nicht aus. Sobald der Arbeitgeber nach einem solchen Ereignis Überlegungen anstrengt, wie und ob der Betrieb weitergeführt werden kann und diesbezüglich ins Planungsstadium eintritt, muss er den Betriebsrat
beteiligen.