Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen Partnerschaft der Ingenieure und beratenden Betriebswirte
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Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen

Der Betriebsübergang

Leseprobe

I. Arten von Einigungsstellenverfahren

Geht ein Betrieb oder Betriebsteil durch Rechtsgeschäft (z.B. Verkauf, Vermie-tung/Verpachtung, Abschluss von Dienstleistungsverträgen) auf einen neuen Inhaber über, spricht man von einem Betriebs- bzw. Teilbetriebsübergang. § 613a BGB regelt dessen Vo-raussetzungen und die Rechtsfolgen für die vom Betriebsübergang betroffenen Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer. Beide Aspekte sind durch umfangreiche Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) und des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) definiert und fort-entwickelt worden.

§ 613a BGB greift nicht nur bei der Übertragung von Betrieben oder Betriebsteilen Einzel- und Gesamt- im Wege der Einzelrechtsnachfolge, sondern auch im Wege der Gesamt-rechtsnachfolge (v.a. Spaltung und Verschmelzung nach dem Umwandlungsgesetz) durch Verweis in § 324 UmwG. Beim Betriebsübergang, bei dem immer materielle oder immateri-elle Werte (Kundenstamm, Maschinen, Produktionsanlagen usw.) veräußert werden, spre-chen Manager vom »Asset Deal«, ein bestimmter Vermögensgegenstand hat einen neuen Eigentümer. Es handelt sich also um die einzelne Rechtsnachfolge, die an einen Vermö-gensgegenstand gekoppelt wird. Vergleichbar ist das mit dem Verkauf eines Mietshauses. Der ursprüngliche Vermieter überträgt das Haus auf einen anderen Menschen, mit dem aber keiner der Bewohner einen Mietvertrag abgeschlossen hat. Das Gesetz ordnet also an, dass die Mietverträge auf den neuen Eigentümer übergehen. In andere Vertrags-verhältnisse tritt der neue Hauseigentümer nicht ein, er wird nicht automatisch Vertrags-partner z.B. des Hausmeisterservices oder des Hausverwalters (BAG 15.11.2012- 8 AZR 683/11).

Bei der Gesamtrechtsnachfolge werden nicht einzelne Vermögensgegenstände übertragen, sondern Gesellschaftsanteile (daher Share Deal). Werden zwei GmbHs verschmolzen, tritt die aufnehmende GmbH in alle Vertragsverhältnisse der »verschmolzenen« GmbH ein, wird also Eigentümerin der Immobilie (die nicht extra »verkauft« wird), Vermieterin und aber auch Vertragspartner des Hausmeisterservice. Die Nachfolge betrifft die gesamten Rechte.

Um den § 613a BGB ranken sich eine Reihe von Fehlinterpretationen, die im Rahmen dieser Broschüre ausgeräumt werden sollen. Die genaue Kenntnis des Umfangs und der Reichwei-te des Schutzes der Arbeitsverhältnisse beim Betriebsübergang ist auch wichtig, um den Be-triebsrat besser in die Lage zu versetzen, wirksame Regelungen zur effektiven Absicherung der betroffenen Beschäftigten bei Betriebsübergängen vereinbaren zu können.

II. Konzentration auf das Kerngeschäft - die Strategie der XY-AG

Im Folgenden wird ein Unternehmen - die XY-AG - dargestellt, das restrukturiert wird. An-hand der verschiedenen Restrukturierungsmaßnahmen wird in den Kapiteln erläutert, in-wieweit es sich dabei um (Teil-)Betriebsübergänge handelt und dargestellt, welche Auswir-kungen sich für die Beschäftigten ergeben.

Die XY-AG ist ein mittelständisches, im M-DAX notiertes Unternehmen aus dem Bereich des Maschinenbaus mit je einem Betrieb in Nord-, Mittel- und Süd-deutschland. Mit 750 Beschäftigten erzielte das Unternehmen 2015 einen Umsatz von 320 Mio. € und einen Ge-winn von 10 Mio. €.

An allen drei Standorten existieren Betriebsräte. Das Unternehmen hat einen Gesamtbe-triebsrat. Dieser hat einen Wirtschaftsausschuss bestellt. Der GBR-Vorsitzende ist Mitglied im 3-köpfigen Aufsichtsrat. Das Unternehmen ist tarifgebunden, wobei für die drei Betriebe jeweils regionale Tarifverträge gelten.

Da die Umsatz- und Gewinnentwicklung in den letzten beiden Jahren deutlich unter den Prognosen des Vorstandslagen, steht der Aktienkurs des Unternehmens unter Druck. An der Börsenrally des letzten Jahres nahm der Aktienkurs nicht teil. Die Finanzanalysten stuften die Aktie als »underperformed« ein und rieten den Anlegern zum Verkauf.

Vor diesem Hintergrund und auf Druck der kreditgebenden Banken erarbeitete der Vor-stand mit Unterstützung einer renommierten Unternehmensberatungsfirma eine neue Un-ternehmensstrategie, die alles zum Besseren wenden sollte. Die neue Strategie lautete: Kon-zentration auf das Kerngeschäft und Verkauf bzw. Outsourcing aller Geschäftsaktivitäten, die nicht zum Kerngeschäft gezählt werden.

Im Rahmen einer umfassenden Prozessanalyse kommt die Beratungsfirma zu dem Ergeb-nis, dass folgende Aktivitäten nicht zum Kerngeschäft gerechnet werden:

  • Kantine (gibt es nur im Hauptbetrieb in Süddeutschland)
  • Pförtner
  • Wachschutz
  • Telefonzentrale
  • Rechenzentrum (gibt es nur im Hauptbetrieb in Süddeutschland)
  • Werbung/Marketing (gibt es nur im Hauptbetrieb in Süddeutschland)
  • Herstellung spezifischer Vorprodukte (die im norddeutschen Betrieb konzentriert sind)

Darüber hinaus schlägt die Beratungsfirma vor, die Vertriebsmitarbeiter der drei Standorte in einer eigenständigen Vertriebsgesellschaft zu konzentrieren.

Auf einer Klausurtagung des Vorstandes übernimmt dieser die Vorschläge und beschließt:

  • Pförtner, Wachschutz und Telefonzentrale werden über Dienstleistungsverträge fremdvergeben.
  • Die Kantine wird an einen Caterer verpachtet.
  • Das Rechenzentrum wird outgesourct.
  • Der norddeutsche Betrieb wird verkauft.
  • Es wird durch Abspaltung nach dem UmwG eine eigenständige Vertriebsgesellschaft als 1oo%-Tochter der XY-AG gebildet, in der alle Vertriebsaktivitäten gebündelt wer-den (Abspaltung zur Neugründung).

Im Rahmen einer gemeinsamen Sitzung von Gesamtbetriebsrat und Wirtschaftsausschuss informiert der Vorstand über die beabsichtigten Maßnahmen. Soweit einzelne Maßnahmen eine Betriebsänderung im Sinne von § 111 BetrVG darstellen, werden Verhandlungen über Interessenausgleich und Sozialplan (§ 112 BetrVG) angeboten. Die Information des Wirt-schaftsausschusses erfolgte in diesem Fall nicht rechtzeitig, denn der Wirtschaftsausschuss wäre schon im Planungsstadium - also vor Beschlussfassung im Vorstand - über die beab-sichtigten Maßnahmen zu informieren und deren Auswirkungen auf die Beschäftigten zu beraten gewesen (§ 106 Abs. 2 BetrVG).

Allein schon die Ankündigung einer umfassenden Restrukturierung des Unternehmens mit dem Ziel der Kosteneinsparung führte zu einem Anstieg des Aktienkurses an der Börse.