Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen Partnerschaft der Ingenieure und beratenden Betriebswirte
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Forschungs- und Beratungsstelle für betriebliche Arbeitnehmerfragen

Handbuch Wirtschaftsausschuss

Buchcover des Wirtschaftsausschusses

Leseprobe

II. Frühwarn- und Unterstützungsfunktion des Wirtschaftsausschusses

Dem Wirtschaftsausschuss kommt im Zusammenhang mit einer Betriebsänderung eine Frühwarn- und Unterstützungsfunktion zu.

1. Frühwarnfunktion

In der Praxis kommt es oft vor, dass der Unternehmer über geplante Betriebsänderungen nicht rechtzeitig, also im Stadium der Planung, informiert, sondern lediglich das Ergebnis seiner Planung mitteilt. Dann wird eine Einflussnahme im Interesse der Beschäftigten auf die Planung erfahrungsgemäß sehr schwierig (Laßmann u. a., S. 167 ff.).

Deshalb sollte der Wirtschaftsausschuss auf seinen regelmäßigen, hoffentlich monatlichen Sitzungen das Thema Betriebsänderung jedes Mal auf die Tagesordnung nehmen. Die Erfahrung zeigt, dass Unternehmer/Arbeitgeber zwar häufig Informationen zurückhalten, auf konkrete Befragung, ob Betriebsänderungen geplant seien, aber nicht die Unwahrheit sagen. Dazu ist es wichtig, die einzelnen Fälle von Betriebsänderungen konkret abzufragen, damit der Unternehmer sich nicht herausreden kann, er hätte nicht gewusst, dass hier der Fall einer Betriebsänderung vorläge. Auch wenn auf diese Fragen sehr häufig mit nein geantwortet werden wird, was dann im Protokoll über die WA-Sitzung entsprechend vermerkt wird, ergibt diese Vorgehensweise Sinn. Es wäre nämlich wenig glaubhaft, wenn auf konkrete Fragen des WA zu geplanten Betriebsänderungen etwa auf der Sitzung Mitte Februar mit »Nein« geantwortet wird, aber wenige Wochen später dem Betriebsrat und Wirtschaftsausschuss das Ergebnis einer abgeschlossenen Planung für eine Betriebsänderung präsentiert wird. Der Verstoß des Unternehmers/Arbeitgebers gegen seine Verpflichtung zur rechtzeitigen Information wäre in diesem Fall offensichtlich und gut belegbar, denn Planungen zu einer Betriebsänderung benötigen einen längeren zeitlichen Vorlauf.

Im Rahmen der Information über die wirtschaftliche und finanzielle Lage des Unternehmens ist es ratsam, beim ersten Anschein des Auftretens einer Unternehmenskrise (siehe Kapitel I) bzw. beim Verfehlen wichtiger Unternehmensziele (siehe Kapitel G) nach Ursachen und Lösungsansätzen zu fragen. Die Sorge, man könnte den Unternehmer/Arbeitgeber aufgrund solcher Gedankenfragen verärgern, ist völlig unbegründet. Normalerweise beschäftigt sich der Unternehmer nämlich genau mit diesen Fragen (das ist sein Job!), berichtet aber nur noch nicht darüber, um zunächst ungestört seine Planungen vorantreiben zu können. Oder aber er reagiert auf die Situation nicht und lässt den Dingen weiter ihren Lauf (macht also seinen Job nicht richtig!), dann besteht die Gefahr, dass sich die Situation verschärft und eine Entwicklung eintritt, die gravierende Maßnahmen erfordert und eine Sanierung, Insolvenz), d.h. die weit erheblichere negative Auswirkungen auf die Beschäftigten haben wird, als wenn man frühzeitig nach Lösungen gesucht hätte (Laßmann u.a., S. 167ff.).

2. Unterstützungsfunktion

Die Beratungen über das »Ob«, »Wie« und »Wann« einer Betriebsänderung münden regelmäßig in Verhandlungen über einen Interessenausgleich. Diese werden vom zuständigen Betriebsrat geführt. Parallel dazu sollten auch die Verhandlungen über einen Sozialplan geführt werden. Hier geht es um den Ausgleich oder die Milderung wirtschaftlicher Nachteile, die den von der Betriebsänderung betroffenen Beschäftigten drohen können. Während der Interessenausgleich nicht erzwingbar ist, kann der Sozialplan gegebenenfalls in einer Einigungsstelle erzwungen werden. Der Betriebsrat hat hier – anders als beim Interessenausgleich – ein erzwingbares Mitbestimmungsrecht (§ 112 Abs. 4 BetrVG).

Gerade in den Verhandlungen über den Sozialplan geht es immer um die Frage der wirtschaftlichen Vertretbarkeit für das Unternehmen (manchmal auch den Konzern) (Laß-mann u.a., S. 402ff.). In dieser Frage kann der WA den BR sehr wirksam unterstützen, sofern er gut Bescheid weiß über die wirtschaftlichen und finanziellen Verhältnisse des Unternehmens. Denn einerseits will der BR für die Betroffenen das Beste herausholen, andererseits will er aber auch das Unternehmen wirtschaftlich nicht überfordern, um den Bestand der (verbleibenden) Arbeitsplätze nicht zu gefährden.

Der BR kann in den Sozialplanverhandlungen und ggf. auch in einer Einigungsstelle umso sicherer auftreten, je genauer er weiß, dass seine Forderungen das Unternehmen nicht überfordern, und dies ggf. auch anhand von Unterlagen, z.B. auch gegenüber dem Einigungsstellenvorsitzenden, darlegen kann. Es ist die Aufgabe des WA, den BR und ggf. einen von diesem hinzugezogenen wirtschaftlichen Sachverständigen bereits im Vorfeld von Ver-handlungen mit den entsprechenden Informationen und Unterlagen zu versorgen. Der Anspruch des BR/GBR auf weitere oder detailliertere Informationen bleibt davon unberührt. Aus den Erläuterungen zum Jahresabschluss (siehe Kapitel D) weiß der WA, ob und in welcher Höhe bereits Rückstellungen für Sozialplanleistungen gebildet wurden. Ein Sozialplan mit einem Volumen in Höhe der gebildeten Rückstellung kann daher nie zu einer wirtschaftlichen Unvertretbarkeit führen. Schließlich ist dieser Aufwand bereits in der Vorperiode in der Bilanz berücksichtigt worden und führt daher zu keiner weiteren Belastung im laufenden Jahr. Im Gegenteil: Liegt das Sozialplanvolumen unter der Höhe der gebildeten Rückstellung, dann muss sie in Höhe der Differenz aufgelöst werden und führt zu einem außerordentlichen Ertrag.

Wichtig ist auch, dass der WA in Bezug auf bestehende Kredite (Fremdkapital) über die sog. Covenants Bescheid weiß. Es handelt sich hier um Kreditnebenbedingungen meist in Form von Finanzkennzahlen (z.B. Eigenkapitalquote, Zinsdeckungsgrad, Verschuldungsgrad, Schuldendienstdeckungsgrad, Höhe der erlaubten Gewinnausschüttung), die Banken regelmäßig bei der Gewährung von Krediten vereinbaren und deren Einhaltung sie regelmäßig (meist vierteljährlich) überprüfen.
Solange durch das Sozialplanvolumen die vereinbarten Covenants nicht verletzt werden, ist die wirtschaftliche Vertretbarkeit immer gegeben. Bei einer drohenden Verletzung der Covenants ist besondere Vorsicht geboten. Dies hat, d.h. z.B. die Verletzung die Bank nur berechtigt, höhere Zinsen zu verlangen, oder ob sogar die fristlose Kündigung des Kredits möglich wird. Nur wenn dies zur Insolvenz des Unternehmens führen könnte, wäre der Sozialplan wirtschaftlich nicht vertretbar (Laßmann u. a., S. 405f.).

Bei Sozialplanverhandlungen in Konzernunternehmen spielt oft auch die Frage eine Rolle, ob es bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Vertretbarkeit der Betriebsratsforderungen auf die wirtschaftliche Situation im betroffenen Unternehmen oder auf die des gesamten Konzerns ankommt (Konzernhaftung). Besondere Chancen hierfür bestehen, wenn es sich um einen Vertragskonzern (qualifizierter Konzern) mit Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag handelt. Hier kommt es in aller Regel auf die wirtschaftliche Situation des Konzerns an. Im faktischen Konzern kann ebenfalls auf die wirtschaftliche Situation des Konzerns abgestellt sein, wenn die Konzernobergesellschaft eine Bürgschaft oder Patronatserklärung abgegeben hat oder wenn ein Haftungsfall nach dem Umwandlungsgesetz (§§ 133f. UmwG) vorliegt.

Eine Durchgriffshaftung kann in den Fällen in Frage kommen, wenn die Konzernobergesellschaft in die Geschäftsführung der Tochtergesellschaft in nachteiliger Weise eingegriffen und den entstandenen Schaden nicht ausgeglichen hat (z.B. Verkauf von Produkten unter Herstellungskosten an eine Vertriebsgesellschaft, bei der dann der Gewinn anfällt; Verpachtung einer Konzernimmobilie zu überhöhtem Pachtzins; Gewährung von Krediten zu überhöhten Zinsen). Für den BR ist ein Nachweis nachteiliger Geschäfte oft schwer zu führen. Häufig wird er hier auf Informationen und Unterlagen aus dem WA angewiesen sein (Hamm/Rupp, S. 40f.).

Vertiefende und weiterführende Literatur

Däubler, W./Klebe, T./Wedde, P. (Hrsg.), Kommentar zum BetrVG, 18. Aufl., Bund-Verlag, Frankfurt a.M. 2022.

Hamm, I./Rupp, R., Veräußerung und Restrukturierung von Unternehmen. Mitbestim-mung und Handlungsmöglichkeiten des Betriebsrats, 2. Aufl., Bund-Verlag, Frankfurt a. M. 2012.

Laßmann, N./Mengay, A./Riegel, H./Rupp, R., Handbuch Interessenausgleich und Sozial-plan. Handlungsmöglichkeiten bei Umstrukturierungen, 8. Aufl., Bund-Verlag, Frankfurt a. M. 2020.