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Handbuch Interessenausgleich und Sozialplan

Cover \'Handbuch Interessenausgleich und Sozialplan\'

Leseprobe

E. Der Betriebsrat erfährt von einer geplanten Betriebsänderung – Was ist zu tun?

In diesem Kapitel sollen grundsätzliche Handlungsempfehlungen gegeben werden für die Phase von der Erstinformation über eine geplante Betriebsänderung bis zum Zeitpunkt der direkten Vorbereitung und Durchführung der Verhandlungen (vgl. hierzu Kapitel F) mit dem Arbeitgeber über einen Interessenausgleich und einen Sozialplan. In dieser wichtigen Phase legt der Betriebsrat seine grundlegenden Verhandlungsziele und Verhandlungsstrategien fest. Außerdem muss er die geplante Betriebsänderung anhand der vom Arbeitgeber erhaltenen Informationen kritisch überprüfen, um zu versuchen, konzeptionelle Verände­rungen im Belegschaftsinteresse zu erreichen.

Insbesondere geht es in dieser wichtigen Phase um die

  • Überprüfung der Mitbestimmungspflicht einer Betriebsänderung,
  • richtige Nutzung der Informationsrechte des Betriebsrats,
  • Feststellung des Handlungsbedarfs und der zeitlichen wie inhaltlichen Handlungsspielräume,
  • Festlegung der Verhandlungsziele des Betriebsrats,
  • Entwicklung eines eigenen Verhandlungskonzepts für den Interessenausgleich,
  • Ausarbeitung eines eigenen Sozialplanentwurfs,
  • Festlegung der betriebspolitischen und rechtlichen Durchsetzungsstrategien.

Die Qualität der Betriebsratsarbeit in dieser Phase nimmt wesentlichen Einfluss auf den Verlauf der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber und somit auf das Verhandlungsergebnis. Je besser die konzeptionelle Vorbereitung des Betriebsrats ist, je klarer seine Zielstellungen formuliert sind und je besser die Verhandlungs-strategie vorbereitet ist, desto schwieriger wird es für den Arbeitgeber, seine Planungen und Sozialplanvorstellungen unverändert durchzusetzen. Fehler und Nachlässigkeiten in dieser Vorbereitungsphase, wie sie von Gewerkschaftssekretären häufig beobachtet werden, erschweren eine zielstrebige und effektive Verhandlungsführung und gefährden das Erreichen positiver Verhandlungsergebnisse.

Typische Fehler in dieser Phase sind:

  • keine genaue Überprüfung der Arbeitgeberinformationen über Erforderlichkeit und Durchführung der Betriebsänderung;
  • zusätzliche erforderliche Informationen werden zu spät oder gar nicht angefordert;
  • Daten zur ökonomischen Situation und Entwicklung des Unternehmens liegen nicht vor und werden nicht angefordert;
  • der Wirtschaftsausschuss wird nicht ausreichend eingebunden, um Informationen zu beschaffen oder um Positionen und Ziele des Betriebsrats auf ihre wirtschaftliche Tragfähigkeit zu prüfen und ggf. zu artikulieren
  • Möglichkeiten, gestaltenden Einfluss auf die Betriebsänderung zu nehmen, werden nicht ernsthaft genug in Betracht gezogen;
  • betriebswirtschaftliche Gegenkonzepte werden nur in Ausnahmefällen entwickelt;
  • für den Interessenausgleich und Sozialplan werden häufig keine eigenen schriftlichen Verhandlungsentwürfe erstellt;
  • die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten werden nur unzureichend beachtet und ausgeschöpft;
  • konkrete Verhandlungen mit dem Arbeitgeber werden bereits ohne ausreichende Informationen aufgenommen, also vor Abschluss der Informationsphase;
  • voreilige Zusagen werden nach der Erstinformation durch den Arbeitgeber gemacht, die häufig nur schwer revidiert werden können;
  • externe Beratung und Unterstützung werden häufig zu spät oder gar nicht herangezogen;
  • Handlungsmöglichkeiten durch Mobilisierung der Belegschaft und Information der Öffentlichkeit werden zu wenig beachtet;
  • Arbeitgeberziele und -interessen werden zu wenig analysiert und können nicht genutzt werden, um möglichen Gegendruck zu entwickeln;
  • Betriebsrat lässt sich unter Zeitdruck setzen und vereinbart bereits Verhandlungstermine, ohne die voraussichtliche Dauer der erforderlichen Vorbereitungsphase richtig einzuschätzen;
  • Betriebsratsarbeit ist nicht gut organisiert, z.B. werden keine Arbeitsgruppen gebildet, um arbeitsteilig vorzugehen.

Es folgen hier daher Hinweise, wie diese Fehler möglichst vermieden werden können.

I. Überprüfung der Mitbestimmungspflicht der Betriebsänderung

Grundsätzlich kann zur Überprüfung der Mitbestimmungspflicht das Ablaufschema aus Kapitel B.I.5 (vgl. Übersicht 9) verwendet werden. Mit dem Praxis- Check steht auch ein EDV-gestütztes Abfragemodul zur Verfügung (Rupp 2007). In Zweifelsfällen sollte der Betriebsrat jedoch einen gewerkschaftlichen Rechtssekretär oder einen arbeitnehmerorientierten Rechtsanwalt hinzuziehen. Die Überprüfung der Mitbestimmungspflicht der Betriebsänderung ist vor allem notwendig, wenn der Arbeitgeber die Mitbestimmung des Betriebsrats bestreitet oder eine Betriebsänderung ohne Beteiligung des Betriebsrats durchzuführen beabsichtigt oder bereits durchführt.

Wird die Betriebsänderung vom Arbeitgeber nicht bestritten, so ist eine Über-prüfung der Maßnahme auf ihre Mitbestimmungspflicht dennoch sinnvoll, damit der Betriebsrat die Sicherheit gewinnt, dass er seine Informations- und Beratungsrechte mit Aussicht auf Erfolg auch rechtlich durchsetzen kann. Der Arbeitgeber informiert den Betriebsrat über bevorstehende Veränderungen im Betrieb - wenn überhaupt - häufig eher beiläufig im Rahmen der regelmäßigen Monatsgespräche oder auf den Wirtschaftsausschuss-Sitzungen.

Beispiel:

In einem Großhandelsbetrieb teilte der Arbeitgeber dem Betriebsrat im Rahmen des Monatsgesprächs mit, dass in vier Wochen im Lager ein neues System zur Kommissionierung der ausgehenden Ware installiert werden soll. Anlass zur Sorge für den Betriebsrat um die Arbeitsplätze sei aber nicht gegeben, weil alle Arbeitnehmer/innen weiterbeschäftigt werden sollen und deshalb keine betriebsbedingten Kündigungen erforderlich würden. Durch das neue EDV-gestützte Kommissionierungssystem würden der Belegschaft auch keine anderen Nachteile entstehen.

In solchen recht typischen Fällen muss der Betriebsrat genau prüfen, ob die an-gekündigte Veränderung eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung darstellt, um seine Mitbestimmungsrechte nach §§111,112 BetrVG geltend machen zu können. Außerdem ist immer zu prüfen, ob nicht weitere Beteiligungsrechte des Betriebsrats bestehen (in unserem Beispiel gem. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG - Leistungs- und Verhaltenskontrollen). Besonders schwierig ist es für den Betriebsrat, seine Rechte geltend zu machen, wenn der Arbeitgeber eine Betriebs-änderung schleichend durchführt und Veränderungen ohne die erforderliche In-formation über einen längeren Zeitraum vornimmt.

Bevor der Betriebsrat die Mitbestimmungspflicht einer sich anbahnenden Betriebsänderung prüfen kann, steht er vor dem Problem, das mögliche Vorliegen einer Betriebsänderung überhaupt zu erkennen. Dies wird - wie bereits erwähnt - nur dann möglich sein, wenn er durch Beobachtung der betrieblichen Vorgänge und Veränderungen einen Gesamtzusammenhang zwischen verschiedenen Maßnahmen herzustellen versucht und dann beim Arbeitgeber energisch auf Aufklärung zu diesen Vorgängen und auf die dahinterstehenden konzeptionellen Überlegungen drängt.

Beispiel:

Weder der Betriebsrat noch der Wirtschaftsausschuss wurden über das Bevorstehen einer Betriebsänderung informiert. Dem Betriebsrat wurden jedoch mehrere Versetzungsanträge vom Arbeitgeber zugeleitet, mit der Begründung, dass einige Verwaltungsaufgaben zu anderen Bereichen verlagert werden müssten. Auch schloss der Arbeitgeber mit einigen Arbeitnehmer/innen Aufhebungsverträge ab. Etwas später bekam der Betriebsrat aus der Belegschaft den Hinweis, dass in den kaufmännischen Abteilungen Kompetenzen und Zuständigkeiten der Zeichnungsberechtigten und Leiter neu aufgeteilt werden sollen. Bei einer Abteilungsleiterbesprechung wurden bereits diesbezügliche Veränderungen diskutiert. Kurz danach bekam der Betriebsrat mehrere Änderungskündigungen für einige Gruppenleiter zur Anhörung, weil einige Arbeitsgruppen zusammengelegt wurden, um die Effizienz der Verwaltung zu steigern, wie der Arbeitgeber die Maßnahme begründete. Einige Zeit nach der Zusammenlegung der Gruppen wurde einigen kaufmänn' sehen Angestellten betriebsbedingt gekündigt. Die von diesen Vorgängen betroffenen Arbeitnehmer/innen überschritten zahlenmäßig nicht die kritische Grenze der BAG-Staffel, sodass diese offensichtlichen Vorgänge nicht als Betriebsänderung behandelt wurden.

Als sich der Betriebsrat auf seiner Sitzung mit der Häufung der verschiedenen personellen Einzelmaßnahmen befasste, stellte er sich die Frage, welche Veränderungen noch zu erwarten seien. Versetzungen, Aufgabenverlagerungen, Kompetenzveränderungen, die Zusammenlegung von Arbeitsgruppen, Aufhebungsverträge und Kündigungen geschehen doch nicht zufällig, sondern sicherlich nach einem unternehmerischen Konzept, vermutete der Betriebsrat. Er forderte daher den Arbeitgeber auf, die hinter diesen Maßnahmen stehenden konzeptionellen Vorstellungen offenzulegen. Auf energisches Befragen zu den Hintergründen für die Vielzahl der Veränderungen in der letzten Zeit erfuhr der Betriebsrat dann vom Arbeitgeber, dass allmählich eine stärkere Spartenorientierung in der Unternehmensführung beabsichtigt sei, dass es aber wohl kaum noch weitere personalwirtschaftliche Änderungen geben werde.

Er gab sich damit jedoch nicht zufrieden und forderte Unterlagen über die beabsichtigte Spartenorientierung. Er erhielt einige Organigramme und Aufgabenbeschreibungen, die er mit einem betriebswirtschaftlich erfahrenen Gewerkschafts-sekretär begutachtete. Im Vergleich zum bestehenden Ist-Zustand stellte sich heraus, dass im Unternehmen eine strenge Spartenbildung mit neuen Verantwortlichkeiten und anderen Zuschnitten in den Aufgabenbereichen für die Entwicklung und für die kaufmännischen Abteilungen herbeigeführt werden soll. Nunmehr konnte der Betriebsrat die verschiedenen Einzelmaßnahmen der allmählichen Einführung dieser Spartenorganisation zuordnen und als grundlegende Änderung der Organisationsstruktur festhalten. Durch das Zusammenfügen einzelner Vorgänge und die Frage nach einer gemeinsamen Ursache war es dem Betriebsrat gelungen, hinter die schleichende Durchführung einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung zu kommen.

Der nächste Schritt war die Einleitung von Verhandlungen über einen Interessenausgleich, soweit die Betriebsänderung noch nicht realisiert war. Die bisher nach-teilig betroffenen Mitarbeiter konnten beim Arbeitsgericht gem. § 113 BetrVG eine Klage auf Nachteilsausgleich erwirken, weil der Arbeitgeber eine Betriebsänderung ohne den ernsten Versuch zu einem Interessenausgleich unternommen hatte. Ferner bestand der Betriebsrat auf Sozialplanverhandlungen, dessen Regelungen sich auch rückwirkend auf alle nachteilig betroffenen Arbeitnehmer/innen bezogen unter Verrechnung mit den gerichtlich erstrittenen Nachteilsausgleichen.

Ist eine vom Arbeitgeber angekündigte Veränderung nach Auffassung des Betriebsrats eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung oder entdeckt der Betriebsrat eine Reihe von betrieblichen Veränderungen, von denen er überzeugt ist, dass es sich um eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung handelt, dann muss er die Initiative ergreifen und den Arbeitgeber

• zur umfassenden Information über die geplante Betriebsänderung auffor­dern, am besten mit einem schriftlichen Fragenkatalog und anhand aussagefähiger Unterlagen, die zur Beurteilung der geplanten Betriebsänderung erforderlich sind (vgl. hierzu auch Kapitel E.111.2);
• zu Interessenausgleichs- und Sozialplanverhandlungen auffordern, nachdem er die wesentlichen Eckpunkte seiner Forderungen überlegt und schriftlich fixiert hat (vgl. auch Kapitel E.IV.3).

II. Der Arbeitgeber bestreitet die Mitbestimmungs­pflicht – Was kann der Betriebsrat tun?

Sollte der Arbeitgeber versuchen, die Betriebsänderung ohne den erforderlichen ernsten Versuch zu einem Interessenausgleich und/oder Abschluss eines Sozial-planes zu realisieren, sollte der Betriebsrat wiederum

• alle gegebenen betriebspolitischen Handlungsmöglichkeiten voll ausschöpfen;
• versuchen, dieses Vorhaben durch eine einstweilige Verfügung wegen Verletzung seiner Verhandlungsrechte für einen Interessenausgleich (was auch die Ausübung seiner Informations- und Beratungsrechte betrifft) zu verhindern;
• den Arbeitgeber darauf hinweisen, dass die betroffenen Arbeitnehmer/innen nach § 113 BetrVG eine Klage auf Nachteilsausgleich einreichen können;
• den Arbeitnehmer/innen diese Rechtsmöglichkeit erklären und das Einreichen solcher Klagen mit der Gewerkschaft zusammen organisieren;
• um in seiner Strategie konsequent zu bleiben, ein Ordnungswidrigkeitsverfahren gegen den Arbeitgeber nach § 121 Abs. 1 BetrVG anstrengen;
• nun selber die Einigungsstelle anrufen, um den Arbeitgeber zu den erforderlichen Interessenausgleichsverhandlungen zu zwingen und um für die betroffenen Mitarbeiter einen Sozialplan auszuhandeln.
• der Betriebsrat sollte personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99, 102 BetrVG seine Zustimmung verweigern bzw. widersprechen, sofern Gründe gem. §§ 99 Abs. 2 Nr. 1-6, 102 Abs. 3 Nr. 1-5 BetrVG vorliegen und die Einzelmaßnahmen in Zusammenhang mit der Betriebsänderung stehen

Der Betriebsrat muss dem Arbeitgeber zunächst einmal mitteilen, dass dieser aus seiner Sicht eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung durchführt. Er muss dem Arbeitgeber deutlich machen, dass dieser zu den geforderten Informationen und Verhandlungen verpflichtet ist und gegen das BetrVG verstößt, wenn er die geplante Maßnahme realisiert, ohne den ernsthaften Versuch unternommen zu haben, einen Interessenausgleich herbeizuführen. Ein ernsthafter Versuch liegt nach ständiger Rechtsprechung des BAG nur dann vor, wenn bei Nichteinigung über den Interessenausgleich die Einigungsstelle eingeschaltet worden ist (BAG 20.11.2001, 1 AZR 97/01). Bezüglich der erforderlichen Sozialplanverhandlungen kann der Betriebsrat darauf hinweisen, dass ein Sozialplan in der Einigungsstelle erzwungen werden kann. Wenn der Arbeitgeber weiterhin nicht bereit ist, über einen Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln, ist er gezwungen, betriebspolitische und rechtliche Schritte einzuleiten.

Auf der betriebspolitischen Ebene ist die Verweigerungshaltung des Arbeitgebers der Belegschaft mitzuteilen. Durch Betriebsratsinformationen und auf Abteilungs- und Betriebsversammlungen sollte die Belegschaft gegen die rechtswidrige Arbeitgeberpolitik mobilisiert werden. Der Betriebsrat sollte seine wesentlichen Forderungen an den Arbeitgeber betriebsöffentlich machen und verlangen, dass dieser abwiegelnde mündliche Zusagen (z. B. keine betriebsbedingten Kündigungen, keine sonstigen Nachteile) im Rahmen einer schriftlichen Vereinbarung verbindlich festschreibt. Geht der Arbeitgeber hierauf nicht ein, wird deutlich, dass er seine Zusagen nicht einzuhalten gedenkt und nur von den tatsächlichen Problemen ablenken will. Der Betriebsrat kann ferner betonen, dass er es für sinnvoller hält, die dem Arbeitgeber entstandenen Kosten für die drohenden rechtlichen Auseinandersetzungen zur Milderung der wirtschaftlichen Nachteile der Arbeitnehmer/innen zu verwenden. Mit solchen Argumenten muss der Betriebsrat versuchen, den Arbeitgeber im Ernstfall von der Belegschaft zu isolieren und »unproduktive« Unruhe in den Betrieb zu tragen. Spätestens dann, wenn die Arbeitnehmer/innen statt zu arbeiten über das aus ihrer Sicht rechtswidrige Vor-gehen diskutieren, wird deutlich, dass eine Verweigerungsstrategie u. U. teurer wird als das Eingehen auf die Verhandlungsaufforderungen des Betriebsrats. Den betroffenen Beschäftigten ist darüber hinaus die Rechtssituation nach § 113 BetrVG zu erläutern. Der Betriebsrat sollte dafür sorgen, dass alle betroffenen Arbeitnehmer/innen bereit sind, eine Klage auf Nachteilsausgleich einzureichen wegen der Verletzung der Arbeitgeberpflicht, einen Interessenausgleich ernsthaft zu versuchen. Mit gewerkschaftlicher Unterstützung können diese Klagen organisiert werden.

Auf rechtlicher Ebene sollte der Betriebsrat versuchen, mittels eines Antrags auf einstweilige Verfügung (vgl. Kapitel B.III.2 und C.II.3) dem Arbeitgeber die Durchführung der Betriebsänderung zu untersagen, solange keine ausführliche Information über die Arbeitgeberplanung erfolgt ist und die Interessenausgleichsverhandlungen nicht abgeschlossen sind. Obwohl die Erfolgsaussichten zum Einreichen einer solchen Verfügung von Arbeitsgericht zu Arbeitsgericht unterschiedlich sind, sollte er sich hierzu entschließen. Die LAG in Thüringen, Hamm, Hamburg, Hessen und Schleswig-Holstein bejahen einen Unterlassungsanspruch des Betriebsrats zur Sicherstellung seiner Rechte; die LAG in Düsseldorf, Nürnberg, Baden-Württemberg und München verneinen diesen Anspruch (vgl. Hamm/Rupp 2020, S. 68). Das LAG Berlin-Brandenburg (7 TaBVGa 1219/14) hat in seiner Entscheidung vom 19.6.2014 festgestellt, dass der Unterlassungsanspruch zur Sicherung des Verhandlungsanspruchs des Betriebsrats für den Interessenausgleich und nicht zur Untersagung der Betriebs-änderung selbst dient. Nur bei faktisch oder rechtlich nicht mehr umkehrbaren Maßnahmen (wie z. B. Kündigungen), durch die der Verhandlungsanspruch des Betriebsrats gefährdet würde, soll gem. dem LAG Berlin-Brandenburg ein Unterlassungsanspruch in Betracht kommen. Unserer Auffassung nach gebietet die richtlinienkonforme Auslegung der §§ 111, 112 BetrVG unter Beachtung der Art. 4 und 8 der Richtlinie 2002/14/EG einen Unterlassungsanspruch (vgl. auch LAG Schleswig-Holstein 15.12.2010 - 3 TaBVGa 12/10). Bei einer Ablehnung des Antrags ist der Betriebsrat nicht schlechter gestellt als zuvor, aber er kann gegenüber der Belegschaft darlegen, dass er alle Handlungsmöglichkeiten genutzt hat.

Zugleich sollte der Betriebsrat dem Arbeitgeber deutlich machen, dass er allen personellen Einzelmaßnahmen nach §§ 99 und 102 BetrVG widersprechen wird. Dies kann geplante Versetzungsmaßnahmen und den geplanten Personalabbau erschweren bzw. verzögern.

Der Betriebsrat kann auch androhen, nach § 121 Abs. 1 BetrVG ein Ordnungs- widrigkeitsverfahren gegen den Arbeitgeber einzuleiten, weil dieser seinen Informationspflichten gem. § 111 BetrVG nicht nachgekommen ist oder auch gegenüber dem Wirtschaftsausschuss gem. § 106 BetrVG verletzt hat.

Ferner sollte der Betriebsrat die Einleitung eines Einigungsstellenverfahrens vorbereiten, d. h. Kontakte mit möglichen Einigungsstellenvorsitzenden und externen Beisitzern aufnehmen und vorsorglich die ersten möglichen Termine abstimmen. Ist der Arbeitgeber auch weiterhin nicht bereit, über Interessenausgleich und Sozialplan zu verhandeln, ist die Einigungsstelle anzurufen (vgl. Kapitel B.IV). Lediglich wenn ein Fall des § 112a BetrVG vorliegt, also der Sozialplan in der Einigungsstelle nicht erzwingbar ist, sollte der Betriebsrat das Einigungsstellenverfahren nicht vor Durchführung der Betriebsänderung betreiben, um den Beschäftigten die Chance einer Nachteilsausgleichsklage nach § 113 BetrVG wegen des unterbliebenen ernsthaften Interessenausgleichsversuchs zu erhalten. Denn im Fall des nicht erzwingbaren Sozialplans ist zu erwarten, dass nachteilig betroffene Arbeitnehmer/innen bei einer Klage nach § 113 BetrVG mehr erhalten als bei einem freiwilligen und deshalb oft schlechten Sozialplan.

Ist die Betriebsänderung bereits vollzogen, so kann ein Interessenausgleich auch in der Einigungsstelle nicht mehr verhandelt werden. Hingegen ist ein Sozialplan (unter Beachtung der Ausnahmen gem. § 112a BetrVG) auch dann noch in der Einigungsstelle erzwingbar mit rückwirkender Geltung für alle betroffenen Arbeitnehmer/innen - unabhängig davon, ob diese eine Klage nach § 113 BetrVG auf Nachteilsausgleich erhoben haben.