Handbuch für die Einigungsstelle
Leseprobe
C. Soll der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen?
I. »Fürchtet euch nicht!«
1. Rechtliche Verfahrensgrundsätze
Wird bei Verhandlungen über Sachverhalte, die der erzwingbaren Mitbestimmung unterliegen, keine Einigung erzielt, so stellt sich für den Betriebsrat die Frage, ob er die Einigungsstelle anrufen soll. Oft bestehen in einer solchen Situation Hemmungen, die Einigungsstelle anzurufen, weil der Betriebsrat
- bisher keine Erfahrungen mit dem Instrument Einigungsstelle besitzt,
- die Chancen für einen in seinem Sinne positiven Ausgang des Einigungsstellenverfahrens nicht abschätzen kann,
- eine Rücknahme von in den bisherigen Verhandlungen schon erreichten Zugeständnissen des Arbeitgebers befürchtet,
- die Verschlechterung der Beziehung zum Arbeitgeber fürchtet,
- Angst vor Vorwürfen des Arbeitgebers hat, die den Betriebsrat bei der Belegschaft in Misskredit bringen sollen. Solche Vorwürfe können z.B. sein:
- Belastung des Unternehmens mit den Kosten der Einigungsstelle,
- angebliche Verzögerung eilbedürftiger Maßnahmen,
- Sturheit oder Prozesssüchtigkeit, die (ohne Aussicht auf Erfolg) mit einem Ausnutzen der rechtlichen Möglichkeiten bis ins Letzte verbunden sei,
- Unfähigkeit des Betriebsrats, anstehende Probleme ohne externe Hilfe zu lösen.
Das Problem der mangelnden Einigungsstellenerfahrung kann sicherlich nur zum Teil durch das vorliegende Buch oder durch Gespräche mit erfahrenen Mitgliedern anderer Betriebsräte gelöst werden. Allerdings lässt sich mangelnde eigene Erfahrung durch die Benennung erfahrener externer Beisitzer/innen (z.B. Gewerkschaftssekretär, von der Gewerkschaft empfohlener Experte) ersetzen. Die Erfolgsaussichten eines Einigungsstellenverfahrens lassen sich in der Regel durch Beratung mit der Gewerkschaft und/oder einem auf Arbeitsrecht spezialisierten, in Einigungsstellen erfahrenen Rechtsanwalt besser abschätzen. Ist die Zuständigkeit der Einigungsstelle gegeben, so wird nach allen bisher von Betriebsräten und uns gesammelten Erfahrungen in der Einigungsstelle ein Kompromiss erzielt, der zwischen den letzten Verhandlungspositionen der beiden Seiten liegt. Die Gefahr, dass wegen der Anrufung der Einigungsstelle der Arbeitgeber bereits gemachte Zugeständnisse zurücknimmt, wird von Betriebsräten häufig überschätzt (vgl. Kapitel F.III.2.b.).
Die Gefahr einer Klimaverschlechterung zwischen den Betriebsparteien ist bei einer Anrufung der Einigungsstelle durch den Betriebsrat zumindest für einen gewissen Zeitraum gegeben. Dies gilt besonders für Arbeitgeber, die die Anrufung der Einigungsstelle als eine Kampfansage begreifen. Allerdings sollte sich der Betriebsrat auch ehrlich fragen, was er von einem »guten Klima« hat, wenn der Arbeitgeber in den strittigen Fragen nicht zu Zugeständnissen bereit ist. In diesem Zusammenhang haben Betriebsräte des Öfteren auch berichtet, dass sich ihre Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber nach dem ersten (erfolgreichen!) Einigungsstellenverfahren sogar verbessert hat, weil der Arbeitgeber die Ernsthaftigkeit und Standfestigkeit des Betriebsrats erfahren musste und diesen dann als einen ebenbürtigen Verhandlungspartner akzeptiert hat. Befürchtungen, vom Arbeitgeber bei der Belegschaft möglicherweise in ein schlechtes Licht gerückt zu werden, lassen sich zumeist ausräumen, wenn der Betriebsrat der Belegschaft möglichst frühzeitig erklärt, warum er die Einigungsstelle angerufen hat. Zusätzlich sollte sich der Betriebsrat selbst und der Belegschaft klar machen, dass die Anrufung der Einigungsstelle ein ganz normaler, vom Gesetz vorgesehener Vorgang ist.
Auch die Kosten eines Einigungsstellenverfahrens braucht sich der Betriebsrat nicht vorhalten zu lassen. Abgesehen davon, dass die Kosten meist nicht so hoch sind, wie sie von Arbeitgeberseite dargestellt werden (vgl. Kapitel I.), könnte der Arbeitgeber die Kosten durch ein - zumindest teilweises - Eingehen auf die Vorstellungen des Betriebsrats häufig vermeiden. Außerdem ist der Versuch des Arbeitgebers, den Betriebsrat über die Bekanntgabe der von ihm verursachten Kosten bei der Belegschaft in Misskredit zu bringen, als grobe Behinderung des Betriebsrats anzusehen, die nach § 119 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG strafbar ist (vgl. Kapitel I.).
Ebenso sollte der Betriebsrat das Verzögerungsargument nicht gegen sich gelten lassen. Zumeist hat nämlich der Arbeitgeber den Zeitdruck durch eine zu späte Information des Betriebsrats oder Wirtschaftsausschusses selbst verschuldet. Befindet sich der Arbeitgeber tatsächlich unter Zeitdruck, so genügt häufig schon die Androhung der Einigungsstelle, um weitere Zugeständnisse zu erreichen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Befürchtungen, die Betriebsräte oft von der Anrufung der Einigungsstelle abhalten, in vielen Fällen unbegründet oder ausräumbar sind. Dennoch sollte der Betriebsrat nicht übereilt oder schon wegen Geringfügigkeiten die Einigungsstelle anrufen, sondern zunächst die im folgenden Kapitel dargestellten Vorüberlegungen anstellen.
II. Wichtige Vorüberlegungen vor Anrufung der Einigungsstelle
Um die Einigungsstelle für die Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen positiv nutzen zu können, sind einige Voraussetzungen zu beachten:
- Den Zielen der Betriebsratsarbeit entsprechend sollten verhandlungsfähige Positionen erarbeitet worden sein.
- Das mögliche Einschalten der Einigungsstelle sollte als Teil der Verhandlungsstrategie frühzeitig im Betriebsrat erörtert werden.
- Zur Einschätzung der Erfolgsaussichten eines möglichen Einigungsstellenverfahrens sollte die zuständige Gewerkschaft oder ein auf Arbeitsrecht spezialisierter, in Einigungsstellen erfahrener Rechtsanwalt möglichst früh und umfassend über den Konfliktinhalt und die Betriebsratsposition informiert werden.
- Zur Unterstützung der Position des Betriebsrats sind die von dem Konflikt unmittelbar betroffenen Kolleg/innen sowie die Belegschaft (und die gewerkschaftlichen Vertrauensleute, sofern ein Vertrauensleutekörper existiert) über die Forderungen des Betriebsrats und den Verlauf des Konfliktes zu informieren.
Selbstverständlich sollte der Betriebsrat die Einigungsstelle nur anrufen, wenn er zu dem umstrittenen betrieblichen Problem inhaltliche Vorstellungen entwickelt hat,
- die den Interessen der Belegschaft entsprechen,
- die vom Betriebsrat mehrheitlich getragen werden,
- die unter Berücksichtigung der sachlichen Gegebenheiten im Betrieb auch realisierbar sind,
- die mit der Arbeitgeberseite bereits erfolglos verhandelt wurden. Gleiches gilt natürlich auch, wenn erkennbar wird, dass der Arbeitgeber seinerseits die Einigungsstelle anrufen will, weil der Betriebsrat bestimmte Maßnahmen des Arbeitgebers (z. B. Durchführung von Sonderschichten) durch die Verweigerung seiner Zustimmung blockiert. Auch in diesem Fall sollte der Betriebsrat diskutieren,
- welche voraussichtlichen Auswirkungen die geplante Maßnahme auf die Beschäftigten hat,
- welche Forderungen im Interesse der Belegschaft zu der geplanten Maßnahme aufgestellt werden können,
- welche inhaltlichen Alternativen es zu der geplanten Maßnahme des Arbeitgebers gibt,
- ob die geplante Maßnahme des Arbeitgebers wirtschaftlich zwingend notwendig ist,
- ob dem Betriebsrat die strittige Angelegenheit so bedeutsam ist, dass er sie in der Einigungsstelle verhandeln will.
Fallbeispiel:
In einem Unternehmen der Süßwarenindustrie möchte der Arbeitgeber in den Monaten Oktober, November und Dezember rund 50 Sonderschichten durchführen, um eine durch das Weihnachtsgeschäft mögliche Absatzsteigerung zu realisieren. Diese Sonderschichten sollen vor allem an den Samstagen stattfinden. Der Betriebsrat ist aus den Wirtschaftsausschusssitzungen darüber informiert, dass das Unternehmen auch in diesem Jahr einen hohen Jahresüberschuss erwirtschaften wird. Die Realisierung der zusätzlichen Absatzchancen führt somit zu einer weiteren Verbesserung der guten Gewinnsituation. Bei Verzicht auf diese zusätzlichen Gewinne entsteht weder eine wirtschaftliche Gefährdung des Unternehmens noch eine Gefährdung der vorhandenen Arbeitsplätze. Die Maßnahme ist also aus der Sicht des Betriebsrats wirtschaftlich nicht zwingend notwendig. Der Betriebsrat weiß, dass es auf dem Betriebsgelände noch eine alte Verpackungsanlage gibt, die vor zwei Jahren abgebaut wurde, die aber innerhalb eines recht kurzen Zeitraumes wieder in Betrieb genommen werden kann. Der Betriebsrat schlägt als Alternative zu den geplanten Sonderschichten den kurzfristigen Wiederaufbau dieser Anlage vor, um ohne Sonderschichten zusätzliche Verpackungskapazitäten zu schaffen, die dann eine Produktionserweiterung ermöglichen würden. Die zusätzlich benötigten Arbeitskräfte können auch unbefristet eingestellt werden, da die Fluktuation im Betrieb relativ hoch ist und die neu eingestellten Arbeitskräfte ohne große Probleme auf andere Arbeitsplätze innerhalb des Betriebs versetzt werden könnten, wenn die alte Verpackungsanlage nach dem Ende des Weihnachtsgeschäfts wieder außer Betrieb gesetzt wird. Die Wiederinbetriebnahme würde zwar zusätzliche Kosten verursachen, die jedoch angesichts der guten Gewinnsituation vom Arbeitgeber ohne weiteres getragen werden können. Der Betriebsrat will deshalb dem Arbeitgeber die vorübergehende Wiederinbetriebnahme der alten Verpackungsanlage vorschlagen.
Sofern der Arbeitgeber nicht bereit ist, die Alternative des Betriebsrats ernsthaft zu prüfen und zu realisieren, ist der Betriebsrat entschlossen, die dann erforderlichen Sonderschichten nicht zu genehmigen. Für den Fall, dass der Arbeitgeber dann die Einigungsstelle anrufen will, erarbeitet der Betriebsrat zusätzlich zu seinem Alternativvorschlag einen Forderungskatalog zur Durchführung der Sonderschichten mit den Schwerpunkten der Freiwilligkeit und einer zusätzlichen Schichtzulage. Er weiß zwar, dass diese Forderungen in der Einigungsstelle nicht erzwingbar sind, aber er weiß auch, dass in der Einigungsstelle der Arbeitgeber von der/m Vorsitzenden zu einem Kompromissangebot aufgefordert werden wird. Diese Forderungen sollen jedoch zunächst nicht in der Einigungsstelle mitverhandelt werden, weil es dem Betriebsrat darum geht, die Samstagsschichten zu vermeiden. Die Verweigerung der Zustimmung zu den geplanten Samstagsschichten und der Alternativvorschlag sind nicht taktisch gemeint, um den Arbeitgeber zu einer höheren Schichtzulage zu bewegen.
Da der Betriebsrat mit vielen von den Sonderschichten betroffenen Arbeitnehmer zuvor gesprochen hat, kennt er die ablehnende Haltung der Beschäftigten zu den beabsichtigten Sonderschichten. Gerade in der Vorweihnachtszeit möchten sie den Samstag für Einkäufe, Vorbereitungen und Familienbesuche zur Verfügung haben. Deshalb wird in einer Diskussion im Betriebsratsgremium einhellig die Auffassung vertreten, dass die strittige Angelegenheit notfalls - d. h. wenn der Arbeitgeber seine Absicht nicht aufgibt bzw. zumindest die Zahl der Sonderschichten stark vermindert - in der Einigungsstelle zu verhandeln ist. Aufgrund seiner guten Vorbereitung sieht der Betriebsrat einem eventuellen Einigungsstellenverfahren gelassen entgegen.
Die Strategie, einen Interessenkonflikt in die Einigungsstelle zu tragen, erfordert Konfliktbereitschaft und Konfliktfähigkeit des Betriebsrats. Sie muss vor den Auseinandersetzungen mit der Arbeitgeberseite im Betriebsratsgremium »angedacht« und beraten sein.
Die Frage, ob zur Lösung eines betrieblichen Konfliktes gegebenenfalls die Einigungsstelle eingeschaltet werden soll, sollte im Betriebsrat möglichst früh diskutiert und entschieden werden. Bei einer Betriebsratsarbeit, die sich an Arbeitsprogrammen orientiert und Forderungspakete aufstellt, ist es sogar möglich, bereits vor der ersten Verhandlung mit dem Arbeitgeber die Strategie »Einigungsstelle« für den Fall einer Nichteinigung zu beraten.
Zwar ist zu diesem frühen Zeitpunkt häufig noch gar nicht abzusehen, ob die Verhandlungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber zu einem für beide Parteien zufriedenstellenden Ergebnis fuhren oder aufgrund unüberwindbarer Meinungsunterschiede scheitern werden. Aber es verbessert in jedem Fall die Verhandlungsposition des Betriebsrats, wenn er dem Arbeitgeber glaubhaft die Einigungsstelle androhen kann. Glaubhaft ist ein Androhen der Einigungsstelle allerdings nur, wenn der Betriebsrat bereit ist, der Androhung auch Taten folgen zu lassen. Der Arbeitgeber merkt sehr schnell, ob es sich hierbei um eine leere Drohung handelt oder ob der Betriebsrat wirklich entschlossen ist, die Einigungsstelle einzuschalten. Betriebsräte, die sich nicht sicher sind, ob sie den Konflikt tatsächlich in die Einigungsstelle tragen wollen, sollten auch nicht damit drohen. Sie würden sehr bald als »Papiertiger« erkannt werden und damit ihre Verhandlungsposition bei zukünftigen Konflikten nur schwächen. Die Erfahrung zeigt, dass bei glaubhaftem Androhen der Einigungsstelle häufig doch noch für den Betriebsrat akzeptable Kompromisse erzielt werden können, so dass sich ein Einschalten der Einigungsstelle erübrigt.
Häufig geraten Betriebsräte durch Positionen und Maßnahmen des Arbeitgebers in eine Konfliktsituation, die sich erst im Verlauf eines Gespräches zwischen den Betriebsparteien herauskristallisiert. In einem solchen Fall sollte man nicht spontan mit der Einigungsstelle drohen, sondern vielmehr den Gesprächsgegenstand auf einen nachfolgenden Termin vertagen, um im Betriebsratsgremium so schnell wie möglich inhaltliche Gegenpositionen zu entwickeln und um das taktische Vorgehen abzuklären. Denn Betriebsräte schwächen für lange Zeit ihre Verhandlungsposition, wenn sie im Verhandlungsverlauf dem Arbeitgeber verärgert mit der Einigungsstelle drohen, hinterher jedoch in einer Nachbereitung der Verhandlungen oder auf der nächsten Betriebsratssitzung feststellen, dass man sich zu unsicher ist, diesen Schritt auch zu tun. Gleiches gilt natürlich auch, wenn der Betriebsrat seine Verhandlungsposition aufgibt, weil der Arbeitgeber ein Einigungsstellenverfahren ins Gespräch bringt (zum Vorgehen, wenn der Arbeitgeber die Einigungsstelle anrufen will, vgl. Kapitel D.III.). Zu vermeiden sind also grundsätzlich solche Situationen, in denen man nach dem Androhen der Einigungsstelle während der Verhandlungen mit dem Arbeitgeber nachträglich feststellt, dass die erforderliche Mehrheit für einen entsprechenden Betriebsratsbeschluss nicht vorhanden ist. Gründe hierfür können sowohl fehlende Konfliktbereitschaft bei der Betriebsratsmehrheit als auch unterschiedliche inhaltliche Positionen sein. Solche Situationen ergeben sich manchmal, wenn im Betriebsrat zu einem Konflikt mit der Arbeitgeberseite weder ausreichend die Verhandlungspositionen noch die Verhandlungsstrategie diskutiert wurden oder der Betriebsrat aus mehreren Fraktionen besteht.
Anders sind jedoch solche Situationen zu bewerten, in denen nach dem An-drohen der Einigungsstelle durch den Betriebsrat noch eine für ihn zufrieden-stellende Regelung erreicht wurde. Dies ist nach unseren Erfahrungen häufiger der Fall. Dann allerdings sollte der Betriebsrat deutlich machen, dass er die Einigungsstelle deshalb nicht anrufen wird, weil er die nun erreichte Kompromisslösung in der Sache für ausreichend hält.
Bei der Entscheidung darüber, ob das Anrufen der Einigungsstelle ein im Konfliktfall gangbarer Weg wäre, sind ferner die folgenden Gesichtspunkte zu beachten:
Zunächst einmal müssen die Erfolgsaussichten eines Einigungsstellenverfahrens abgeschätzt werden. Dabei ist zwischen erzwingbaren und nicht erzwingbaren Regelungen zu unterscheiden.
Es ist zu beachten, dass in Betriebsvereinbarungen anlässlich von Regelungs-streitigkeiten zu Fragen der erzwingbaren Mitbestimmung häufig auch solche Regelungen mit vereinbart werden, die durch einen Spruch der Einigungsstelle nicht erzwungen werden können. So ist es beispielsweise möglich, in einer Betriebsvereinbarung zur Durchführung von Kurzarbeit zu vereinbaren, dass der Arbeitgeber einen Zuschuss zum Kurzarbeitergeld der Arbeitsagentur zahlt. Manchmal gelingt es, einen Streit um den erforderlichen Umfang der Kurzarbeit (Anzahl der betroffenen Arbeitnehmer/innen, Dauer der Kurzarbeit) durch eine Vereinbarung über einen solchen Arbeitgeberzuschuss zu beenden. Während jedoch nach § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG der Umfang der Kurzarbeit zwingend mit bestimmungspflichtig ist und durch Spruch der Einigungsstelle mit der Stimme des/der Vorsitzenden entschieden werden kann, ist die Zahlung eines Arbeitgeberzuschusses zum Kurzarbeitergeld nicht mehr über den § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG in der Einigungsstelle durch Spruch zu erzwingen. Wohl aber können solche nicht erzwingbaren Bestandteile einer Betriebsvereinbarung auch in der Einigungsstelle einvernehmlich nach Vermittlung durch den/die Vorsitzende/n beschlossen werden.
Bei den erzwingbaren Regelungen muss abgeschätzt werden, inwieweit gegebenenfalls durch Spruch der Einigungsstelle die Forderungen des Betriebsrats durchgesetzt werden können. Hierzu sollte der Betriebsrat auf jeden Fall auf den Rat und die Unterstützung von Gewerkschaftssekretären, arbeitnehmerorientierten Rechtsanwälten und/oder Sachverständigen zurückgreifen. Hat der Arbeitgeber im Verlauf der Verhandlungen im Bereich der nicht erzwingbaren Regelungen bereits Zugeständnisse gemacht, dann muss der Betriebsrat für sich entscheiden, ob diese Zugeständnisse so bedeutsam sind, dass es sich lohnt, im Bereich der erzwingbaren Regelungen Kompromisse einzugehen. Arbeitgeber reagieren nämlich manchmal auf eine ihres Erachtens unzureichende Kompromissbereitschaft im Bereich der erzwingbaren Regelungen mit der Zurücknahme von Zugeständnissen im Bereich der nicht erzwingbaren Regelungen (vgl. Praxisfall in Kapitel L.III.).
Der Erfolg eines Einigungsstellenverfahrens besteht für den Betriebsrat in aller Regel nicht darin, dass er sämtliche seiner Forderungen durchsetzen kann, sondern dass er Kompromisse erzielt, die über das bisherige Verhandlungsergebnis hinausgehen. Wenn ein Betriebsrat zum ersten Mal überhaupt die Einschaltung einer Einigungsstelle in Erwägung zieht, dann sollte er dies anlässlich eines Konfliktes mit relativ hohen Erfolgsaussichten tun. Denn ein Erfolg in der Einigungsstelle ist hier nicht nur wegen der Durchsetzung bestimmter inhaltlicher Forderungen des Betriebsrats wichtig, sondern auch wegen der Auswirkungen auf die zukünftigen Beziehungen zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber. Erfahrungsgemäß verbessern für den Betriebsrat erfolgreich ausgegangene Einigungsstellenverfahren die Verhandlungsposition gegenüber dem Arbeitgeber und erhöhen so die zukünftigen Möglichkeiten zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen auf dem Verhandlungsweg.
Weiterhin ist zu bedenken, wie die Belegschaft auf das Einschalten der Einigungsstelle reagieren wird. Deshalb ist es besonders wichtig, bereits im Vorfeld eines Verhandlungskonfliktes mit dem Arbeitgeber die unmittelbar betroffenen Kolleg/innen sowie die übrige Belegschaft (und, sofern ein Vertrauensleutekörper vorhanden ist, die gewerkschaftlichen Vertrauensleute) über die inhaltlichen Vorstellungen des Betriebsrats und über dessen Forderungen zur Konfliktlösung zu informieren (Info-Blätter, Abteilungs- und Betriebsversammlungen). Den Arbeitnehmer/innen muss klar werden, dass es der Unnachgiebigkeit des Arbeitgebers zuzuschreiben ist, wenn zur Lösung des Interessenkonfliktes die Einigungsstelle erforderlich wird.
Weil in vielen Konflikten die Kompromissbereitschaft des Arbeitgebers von der Mobilisierbarkeit und Mobilisierung der Arbeitnehmer/innen positiv beeinflusst wird, ist eine für die Belegschaft transparente Interessenvertretungspolitik notwendig. Ein hoher gewerkschaftlicher Organisationsgrad im Betrieb und eine sich für ihre Interessen einsetzende Belegschaft sind wichtig, um mit dem Arbeitgeber zu befriedigenden Kompromisslösungen zu kommen. Dies gilt auch für Verhandlungen vor der Einigungsstelle. Denn entgegen der üblichen Sichtweise findet in der Einigungsstelle nicht nur ein »Argumentationskampf« zur Beeinflussung der Meinung des/der Vorsitzenden statt. Vielmehr beeinflussen auch die betrieblichen Machtverhältnisse und die Stimmung in der Belegschaft entscheidend die Kompromissbereitschaft der Arbeitgeberseite in der Einigungsstelle. Deshalb sollte auch bei Einigungsstellenverfahren die Belegschaft über den Stand der Auseinandersetzung und über die Betriebsratsposition laufend informiert werden. Auch wenn die Verhandlungen vor der Einigungsstelle in nicht öffentlichen Sitzungen stattfinden, kann über den Verlauf und die Verhandlungsinhalte berichtet werden, ohne Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisse zu verletzen.
Für den Arbeitgeber bedeutet das Androhen oder tatsächliche Anrufen der Einigungsstelle durch den Betriebsrat oder die Notwendigkeit, seinerseits auf-grund einer unbeweglichen Betriebsratshaltung die Einigungsstelle anrufen zu müssen, zunächst eine Eskalation des Sachkonfliktes. Häufig reagieren die Arbeitgeber hierauf mit dem Versuch, durch die Vorwürfe »mangelnde Kooperationsbereitschaft«, »Gefährdung des Betriebsfriedens« und »völlig überflüssige Kostenverursachung durch einen uneinsichtigen Betriebsrat« einen Keil zwischen Belegschaft und Betriebsrat zu treiben, um den Betriebsrat hinsichtlich seines Vorgehens zu verunsichern. Die Unterstützung des Betriebsrats durch die Belegschaft wird umso stärker sein, je besser der Betriebsrat die Belegschaft informiert.
Häufig begibt sich der Arbeitgeber bei der Realisierung geplanter Maßnahmen, z.B. bei der Durchführung von Kurzarbeit oder Mehrarbeit sowie bei der Realisierung geplanter Betriebsänderungen, die mit Entlassungen verbunden sind, in einen selbstverschuldeten Zeitdruck, weil er es versäumt hat, den Betriebsrat (und auch den Wirtschaftsausschuss!) rechtzeitig und umfassend über seine Vorhaben zu informieren.
Die Kurz- bzw. Mehrarbeit soll möglichst umgehend durchgeführt werden, Kündigungsfristen sind einzuhalten usw., so dass der ursprüngliche Zeitplan des Arbeitgebers nicht eingehalten werden kann, wenn der Betriebsrat trotz der verspäteten Unterrichtung durch den Arbeitgeber auf Wahrnehmung seiner Mitbestimmungsrechte besteht.
Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn der Betriebsrat in der Einigungsstelle inhaltlich gut begründete Gegenvorschläge macht, deren Beratung einige Zeit beansprucht. Gerade wegen der möglichen Verzögerungswirkung eines Einigungsstellenverfahrens in einer solchen Situation, die der Arbeitgeber erkennen wird, kann das glaubhafte Androhen eines Einigungsstellenverfahrens eine solche Drohwirkung auf den Arbeitgeber entfalten, dass er zu Zugeständnissen gegenüber dem Betriebsrat bereit ist, die einen für beide Seiten akzeptablen Kompromiss ermöglichen. Das angedrohte Einigungsstellenverfahren wird dann häufig gar nicht notwendig. Sollte es dennoch zum Einigungsstellenverfahren kommen und klagt der Arbeitgeber dann über die »unzumutbare Verzögerungstaktik des Betriebsrats«, dann ist dem entgegenzuhalten, dass bei rechtzeitiger und vollständiger Information sehr wohl genügend Zeit für eine ausreichende Beratung über die gegensätzlichen Vorstellungen und für ein Einigungsstellenverfahren zur Konfliktregelung vorhanden gewesen wäre. Für diese Argumentation empfiehlt es sich, Daten und Unterlagen über das Informationsverhalten des Arbeitgebers zusammenzustellen.
Bei Meinungsverschiedenheiten in Fragen mit tarifpolitischen Bezügen (z.B. Arbeitszeit) sollte wegen der von einer Entscheidung der Einigungsstelle ausgehenden möglichen Breitenwirkung unbedingt die Gewerkschaft eingeschaltet werden. Aus Gewerkschaftssicht ist es in derartigen Fragen wichtig, dass ein solches Einigungsstellenverfahren möglichst in einem Betrieb mit einer starken Interessenvertretung und einer kämpferischen Belegschaft durchgeführt wird, da das Ergebnis eines solchen Einigungsstellenverfahrens Signalwirkung für andere Betriebe entfalten kann. Eventuell empfiehlt es sich für den Betriebsrat, die Verhandlungen mit dem Arbeitgeber etwas hinauszuzögern, wenn eine Entscheidung der Einigungsstelle in einem anderen Betrieb zum gleichen Problem zu erwarten ist.
Checkliste 1
Soll der Betriebsrat die Einigungsstelle anrufen?
Abbau von Hemmschwellen:
- Erfahrungen und Ratschläge von Betriebsräten einholen, die bereits Einigungsstellenverfahren durchgeführt haben.
- Abschätzen der Erfolgsaussichten durch Rückfrage bei der Gewerkschaft oder einem auf Arbeitsrecht spezialisierten, in Einigungsstellen erfahrenen Rechtsanwalt.
- Eine Verschlechterung des bisherigen Verhandlungsstandes ist nach aller Erfahrung nicht zu erwarten.
- Die Gefahr einer vorübergehenden Verschlechterung der Beziehungen zum Arbeitgeber gegen die Chance einer künftig verbesserten Verhandlungsposition abwägen.
- Möglichen Versuchen des AG, den BR wegen der Anrufung der Einigungsstelle in Misskredit zu bringen, durch frühzeitige Einbeziehung der Belegschaft entgegenwirken.
Bevor der BR einen Beschluss zur Anrufung der Einigungsstelle fällt, sollte er möglichst
- verhandlungsfähige Positionen (z.B. Entwurf einer Betriebsvereinbarung), evtl. mit Sachverständigen, erarbeitet haben,
- mit dem Arbeitgeber erfolglos verhandelt haben,
- die Gewerkschaft oder ein Rechtsanwalt zur Abschätzung der Erfolgsaussichten eingeschaltet haben,
- die Anrufung im BR ausführlich diskutiert haben,
- die Belegschaft ausreichend über die BR-Forderungen und den Verhandlungsstand informiert haben,
sich vergewissert haben, dass die Belegschaft seine Forderungen und Vorgehensweise unterstützt.